Das wirtschaftliche Reformprogramm der AfD – ein Arbeitspapier von MdL Franz Bergmüller in Zusammenarbeit mit Jurij Kofner und Kurt Bankhofer! Hier wird die Veröffentlichung in den kommenden Wochen Stück für Stück vorgestellt.

Rente

Der ideale und auch dringend notwendige Zeitpunkt für eine grundlegende Erneuerung und Veränderung des Rentensystems wäre nach dem 3. Oktober 1990 bei der Wiedervereinigung Deutschlands gewesen. Schon damals war klar ersichtlich, dass dieses System aus demographischen Gründen keinen soliden, dauerhaften und zukunftsfähigen Bestand haben kann. Die Geburtsstunde der gesetzlichen Rentenversicherung war der 22. Juni 1889, damals verabschiedete der Reichstag das „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung”, 1891 trat es in Kraft.

Im Jahr 1957 führte Bundeskanzler Konrad Adenauer dann seine Rentenreform durch. Der Generationenvertrag wurde geboren, der jungen und arbeitende Teil der Bevölkerung erwirtschaftet auch die Renten für die Älteren. Als diese Idee entstand brachte jede Frau im statistischen Durchschnitt noch 2,3 Kinder zur Welt, aber heute sind es nicht mal 1,5. Schon damals gab es Kritik und Widerstand gegen diesen Plan, doch Adenauer ignorierte die Befürchtungen derer vor dem, was wenig später mit dem Pillenknick wahr wurde. Sein legendärer Satz lautete: „Kinder kriegen die Leute immer.” Für Adenauer selbst traf dieser Satz noch zu, denn er war siebenfachen Vater. Wie sich aber später herausstellte, wurde dieser Satz zur Lebenslüge des Generationenvertrags.

Als im Jahr 1986 immer klarer ersichtlich wurde, dass das Rentensystem immer mehr in Schieflage gerät, tat sich Unionspolitiker Norbert Blüm mit seinem ebenfalls legendären Satz hervor: „Denn eins ist sicher, die Rente.“ Mit einer Plakataktion sollte die Bevölkerung beruhigt werden, doch im Nachhinein muss man diese Aktion als Vernebelungstheater bezeichnen, da den Verantwortlichen mit Sicherheit klar war, dass dem eben nicht so ist.

Die Wiedervereinigung hätte also zu einer Reform genutzt werden müssen. Die Regierung Kohl entschied sich aber für ein weiter so und übertrug das Rentensystem der BRD ohne Veränderung auf die DDR. Damals wurden auch die versicherungsfremden Leistungen massiv ausgebaut, weil Hundertausende ehemalige DDR-Bürger, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, einfach frühverrentet und in die Rentenversicherung abgeschoben wurden. Ein Musterbeispiel für versicherungsfremde Leistungen, weil dieser Personenkreis nie einbezahlt hat und dennoch Leistungen aus der Rentenversicherung erhalten, die von den Beitragszahlern finanziert wird. Ein ähnliches Beispiel ist auch die Mütterrente, die 2014 vom Kabinett Merkel III eingeführt worden ist.

Ein Auszug aus dem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung von 2019 macht die Probleme mehr als deutlich: „Der Rückgang des Sicherungsniveaus vor Steuern macht deutlich, dass die gesetzliche Rente zukünftig allein nicht ausreichen wird, um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Alter fortzuführen. In Zukunft wird der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben, wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung genutzt werden, um eine zusätzliche Vorsorge aufzubauen. Zentral für die Altersversorgung wird aber auch weiterhin die gesetzliche Rente bleiben.” Das ist ein klares Eingeständnis der Bundesregierung, dass das bisherige Rentensystem gescheitert ist und die künftigen Rentner von ihrer Rente allein nicht mehr leben können.

Ein Blick ins Ausland kann hilfreich sein. In Österreich werden höhere Renten, mit Weihnachts- und Urlaubsgeld bezahlt. Auch für die meisten Mütter und Geringverdiener sind die ausgezahlten Rentensummen „ausreichend“. Auch Beamte und Selbständige zahlen ein. Der Beitrag beträgt rund 22 % und ist somit höher als in Deutschland mit 18,6 Prozent des Bruttolohns, es gibt keine Beitragsgrenze. Rund ¼ des Staatshaushalts Österreichs fließt in die Altersvorsorge. Das Regelpensionsalter bei Männern ist 65 Jahre und bei Frauen 60 Jahre.

Das Rentensystem in Frankreich basiert auf Umlageverfahren, wie auch das System in Deutschland. Es existieren 32 verschiedene Rentensysteme, je nach Berufsgruppe ohne freie Wahl). Bei Arbeitnehmern im privaten Bereich gibt es ein Grundsystem und ein entsprechendes Zusatzsystem. Die Verwaltung der Finanzierung erfolgt eigenständig durch die Sozialpartner (z.B. Gewerkschaften), unabhängig vom Staatshaushalt, Ausnahme sind die Beamten. Der Staat gibt die Grundregeln der Verwaltung vor, das Renteneintrittsalter beträgt 60 Jahre, die volle Rente erfordert allerdings 40 Jahre Beitragszahlung, ab 65 Jahren wird im Allgemeinen die volle Höhe ausbezahlt, seit 1956 gibt es eine Mindestrente. Die Rente ist ein großes und andauerndes Streitthema in Frankreich, die Renten sind teilweise höher als Lohn. Macron will seit langem eine Rentenreform durchsetzen, mit dem Sondersysteme abgeschafft werden und länger gearbeitet werden soll, massive Bürgerproteste verhindern dies aber bislang.

In der Schweiz gibt es ein Dreisäulensystem. Die 1. Säule ist die staatliche Vorsorge (obligatorisch) in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), Invalidenversicherung (IV) und Ergänzungsleistungen, die den Existenzbedarf sichert. Die 2. Säule ist die berufliche Vorsorge (obligatorisch). Versichert sind alle Arbeitnehmer, die in Säule 1 versichert sind und mind. 21‘330 Franken verdienen (Stand 2019). Die obligatorische Versicherung beginnt mit Antritt des Arbeitsverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverträgen bis 3 Monate ist sie nicht verpflichtend, aber möglich. Die 3. Säule ist die private Vorsorge (freiwillig), sie ist eine individuelle, steuerbegünstigte Vorsorge für Erwerbstätige. Die Schweiz zahlt so hohe Renten aus, wie sonst kaum ein Land. Die Schweizer müssen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern kaum für Alter sparen.

Der wichtigste Sozialversicherungsträger in Italien ist das „Istituto Nazionale della Previdenza Sociale“ (INPS). Es ist dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik (Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali) unterstellt. Das INPS ist als zentraler Gesamtsozialversicherungsträger für alle im allgemeinen System zusammengefassten Bereiche der gesetzlichen Rentenversicherung, die soziale Krankengeldversicherung und die Familienleistungsversicherung für Arbeitnehmer sowie die einzelnen Leistungssysteme für den Fall der Arbeitslosigkeit zuständig. Auch die im Fall von Bedürftigkeit im Alter erbrachten Sozialzulagen und Aufstockungsbeträge werden vom INPS gezahlt. Die gesetzliche Rentenversicherung Italiens ist ein öffentlich-rechtliches Regelsicherungssystem. Es wird – wie die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland – im sogenannten Umlageverfahren finanziert. Neben dem seit 1920 existierenden Allgemeinen System (Assicurazione Generale Obbligatoria – AGO) gibt es 5 noch eigenständige Sondersysteme und Sonderfonds für Angehörige besonderer Berufsgruppen sowie berufsständische Versicherungseinrichtungen für Angehörige der freien Berufe.

Die OECD hat eine Studie zum weltweiten Rentenniveau veröffentlicht (Pensions at a Glance 2019). Enthalten sind neben Deutschland 28 Länder aus Europa (u. a. Österreich, Frankreich, die Niederlande) sowie wichtige Auswanderungsziele wie die USA, Australien und Kanada. Das deutsche Rentensystem schneidet im internationalen Vergleich eher schlecht ab. Im Durchschnitt haben hiesige Rentner nur 51,9 Prozent dessen zur Verfügung, was sie vorher netto verdient haben. Damit liegt das Rentenniveau unter dem OECD-Durchschnitt (58,6 Prozent) und weit hinter Ländern wie Italien, Österreich und Portugal.

Die AfD fordert, dass die Bundesregierung einen Renten-Kapitalfonds einführt, der vom Staat aufgelegt und treuhänderische verwaltet wird. Dabei soll man sich an dem Vorschlag orientieren, den der ifo-Präsident Prof. Clemens Fuest gemacht hat. Fuest führt an, dass die hervorragende Bonität der Bundesrepublik Deutschland als Schuldner es ermögliche, Kredite günstig aufzunehmen und bei einer Reinvestition eine erhebliche Renditedifferenz zu erzielen. Simulationen zeigen: Legt der Staat ab heute 0,5% des BIP pro Jahr für alle Erwerbsfähigen an, finanziert durch langsameren Staatsschuldenabbau, ergäbe sich nach 50 Jahren bei einer durchschnittlichen Renditedifferenz von 2 Prozentpunkten ein Ertrag von gut 16.000 Euro pro Kopf, der mit dem Erreichen von 67 Jahren ausgezahlt werden könnte. Bei einer Zinsdifferenz von 3 Prozentpunkten kämen bereits rund 30.000 Euro zusammen. Die Probleme der kapitalgedeckten Altersvorsorge bei niedrigen Zinsen spielen in der aktuellen politischen Debatte in Deutschland eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund analysierte Prof. Fuest das Modell eines durch Verschuldung des Bundes aufgebauten Fonds, dessen Vermögen international in Aktien, Immobilien und Anleihen angelegt wird. Die Überschüsse werden dazu verwendet, jüngeren Jahrgängen beim Erreichen der künftigen Regelaltersgrenze für den Renteneintritt von 67 Jahren eine Kapitalleistung analog zu einer Lebensversicherung zu zahlen. Es gibt weltweit zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Staatsfonds. Norwegens Staatsfonds ist derzeit, wie auch in den Vorjahren, nach Anlagevolumen Stand Januar 2021 der größte seiner Art weltweit. Der Norway Government and Pension Fund Global bringt es derzeit auf einen Vermögenswert von inzwischen fast 1,3 Billionen US-Dollar und ist somit so hoch wie kein anderer staatlicher Fonds.

SPD, Grüne und FDP haben zwar im Koalitionsvertrag vereinbart, der Rentenversicherung zehn Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um einen Kapitalstock aufzubauen. Ziel sei dabei, die Renditechancen des globalen Kapitalmarkts zu nutzen, um die Finanzierung der Altersvorsorge besser auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Auf die Absichtserklärungen der Ampelregierung ist aber kein Verlass, das hat sich im ersten Regierungsjahr bereits mehrfach erwiesen. Finanzexperten stimmen außerdem überein, dass eine Anlagesumme von zehn Milliarden Euro viel zu gering ist, um die Rentenversicherung zu entlasten und somit auch nicht zielführend ist. Der Plan von FDP-Finanzminister Christian Lindner, eine dreistellige Milliardensumme am Kapitalmarkt anzulegen (Generationenkapital), wird von den Grünen strikt abgelehnt. Sie setzen auf die Bürgerversicherung, eine höhere Beitragsbemessungsgrenze oder einen arbeitgeberfinanzierten Mindestrentenbeitrag. Größer könnten die unterschiedlichen Meinungen in einer Regierungskoalition also nicht sein. Fraglich bleibt, ob die Ampel es in dieser Legislaturperiode überhaupt noch schafft, sich in Sachen Rentenfinanzierung auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen.

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