Ein Gastbeitrag von MdEP Markus Buchheit:

Wer hätte das gedacht? Der auf den Pressefotos stets freundlich lächelnde, smart wirkende kanadische Premierminister Justin Trudeau erwies sich in der Corona-Krise als Politiker mit durchaus tyrannischen Zügen. Er verhängte Mitte Februar 2022 per Gesetz den Notstand über Kanada, um die umfangreichen Blockaden der Lkw-Fahrer, die sich mit einer verpflichtenden Impfung von Fernfahrern nicht anfreunden wollten, aufzulösen. An den Blockaden teilnehmende Fahrzeug wurden rigoros abgeschleppt, die kanadische Regierung ließ Bankkonten und Krypto-Wallets von Teilnehmern der Trucker-Proteste gegen die Corona-Maßnahmen einfrieren. Die entsprechende Anordnung wurde vom Obersten Gerichtshof eifrig abgesegnet. Die stellvertretende kanadische Premierministerin Chrystia Freeland erläuterte damals das Vorgehen: „Die Namen der betroffenen Privatpersonen, Organisationen und Krypto-Wallets wurden durch die Bundespolizei an die entsprechenden Finanzinstitute weitergegeben, woraufhin diese die jeweiligen Konten und Gelder eingefroren haben, und dies auch weiter tun werden.“ Im Zuge der Regierungsanordnung wurde auch der Umfang der Kontrollmöglichkeiten bezüglich angeblicher Geldwäsche und genauso angeblicher Terrorismusfinanzierung beträchtlich erweitert. Die zuständigen Behörden konnten damals deswegen Crowdfunding-Plattformen und Zahlungsdienstleister beliebig durchleuchten.

Totale Digitalisierung im Kampf gegen das Böse?

Das hört sich doch irgendwie vertraut an. Gerne wird nämlich auch von der EU-Führung der Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ins Feld geführt, wenn es um die Einführung der digitalen Währung geht. Doch ein Schritt nach dem anderen: Jetzt am 08. November ist die „digitale Brieftasche“ nach dem Willen der Europäischen Union beschlossene Sache. In sogenannten Trilog-Verhandlungen über die Verordnung zur Einführung einer EUid-Brieftasche erzielte man umfassende Einigung. Damit wurden „die Arbeiten der beiden gesetzgebenden Organe an der Umsetzung der Ergebnisse der vorläufigen politischen Einigung vom 29. Juni 2023 über einen Rechtsrahmen für eine digitale Identität der EU – den ersten vertrauenswürdigen und sicheren Rahmen für eine digitale Identität für alle Europäerinnen und Europäer – abgeschlossen.“ Alle Bürgerinnen und Bürger der Union können im Laufe der „digitalen Dekade“ bis 2030 eine EUid-Brieftasche für den Zugang zu öffentlichen und privaten Online-Diensten einrichten, „wobei die Sicherheit und der Schutz der personenbezogenen Daten in ganz Europa in vollem Umfang gewährleistet werden.“

Privates wird „öffentlich“

Die „EUid-Wallet“, wie das digitalisierte Paket persönlicher Daten und Dokumente heißt, das in einer Cloud-Lösung abgespeichert werden soll, wird zur Authentifizierung bei Online-Diensten und im Rahmen von eGovernment-Prozessen zum Einsatz kommen. Die Initiatoren dieser Digitalisierungsmaßnahme sehen die Merkmale und gemeinsamen Spezifikationen der Brieftasche auch als Booster für weitere digitale Geschäfte. Nicht ganz so optimistisch gehen Daten- und Verbraucherschützer und die politischen Freiheitlichen mit dem Thema um. Offiziell heißt es: „In der Brieftasche wird nicht nur die digitale Identität der Nutzer sicher gespeichert, sondern sie können damit auch ein Bankkonto eröffnen, Zahlungen leisten und digitale Dokumente aufbewahren (mobiler Führerschein, ärztliche Verschreibung, Berufszeugnis oder Fahrschein). Sie wird eine benutzerfreundliche und praktische Alternative zu der durch das EU-Recht garantierten Online-Identifizierung bieten. […] Die Brieftasche wird eine Übersicht über alle Transaktionen enthalten, die sich der Inhaber anzeigen lassen kann. Sie wird die Möglichkeit bieten, mutmaßliche Verstöße gegen den Datenschutz zu melden. Sie wird allerdings auch den Administratoren der Cloud, in der die sensiblen Daten von Millionen EU-Bürgern gespeichert sein sollen, die Möglichkeit geben, eventuellen Missbrauch mit den Datensätzen zu treiben.

Der beste Schutz gegen Datenmissbrauch: analoge Lösungen in eigener Hand

Man muss kein Science-Fiction-Fan sein, um erahnen zu können, welche Manipulationsmöglichkeiten sich für Kriminelle außer- und innerhalb (EU-)staatlicher Strukturen eröffnen. Digtal fragmentierte Existenzen, Datenbausteine, die ganze Biographien ausmachen, befinden sich irgendwann im vom Einzelnen nicht wirklich kontrollierbaren Nirwana einer Server-Struktur. Da hilft es auch nicht, wenn die Verantwortlichen von „quell-code-offenen“ Sicherheitslösungen reden und nicht-autorisierte Zugriffe Fremder ausschließen. Dreist behauptet die EU-Führung, dass „bis 2030 alle wichtigen öffentlichen Dienste online verfügbar sein“ werden und „alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zu ihren elektronischen Patientenakten haben und alle Personen eine sichere elektronische Identität (eID) bekommen, mit der die Privatsphäre besser geschützt wird.“ Doch welch besseren Schutz gegen Datenmissbrauch gibt es als die bewährten analogen Lösungen? Der papierne Reisepass, die Patientenakte beim Arzt des Vertrauens, der Führerschein in der Sakkotasche. Stattdessen wird eine umfassende Digitalisierung gepriesen, die auf mittlere Sicht zur Meinungsmanipulation und zur willkürlichen Durchsetzung staatlicher Verordnungen führen kann. Die Lehren aus der Corona-Krise haben gezeigt, dass die Grundrechte nicht nur der Deutschen mit einem Male wenig, bis gar keinen Wert hatten. Totalitäre Züge bestimmter Politiker zeigten sich ungeniert, genauso wie die Übergriffigkeit eines sich langsam etablierenden „Nanny-Staates“.

Übergriffige EU und gläserner Bürger

Die förmliche Annahme der EUid-Brieftasche muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat nur noch förmlich angenommen werden. Dann werden noch die notwendigen Durchführungsbestimmungen beschlossen, so dass die Mitgliedstaaten dann ihren Bürgern EUid-Brieftaschen zeitnah und verpflichtend zur Verfügung stellen können. Angesichts dieses Prozedere und angesichts auch der zurück liegenden Politik der EU, stellt man sich die Frage, inwieweit der EU-Bürger und sein Wille bei den Entscheidungsfindungen berücksichtigt wurden. Vielen dürfte es nicht schmecken, dass ihre „amtliche“ und ihre wirtschaftliche, aber auch private Existenz demnächst in pannen- und missbrauchsanfälligen Speichermedien liegt. Als den eingangs erwähnten kanadischen Truckern von der Regierung in einem nachträglich legalisierten Willkürakt der private Geldhahn abgedreht wurde, äußerte sich der CEO der Kryptobörse Kraken, Jesse Powell voller Zynismus aber äußerst hellsichtig auf der damaligen Twitter-Plattform: „Rechtsstaatlichkeit ist was für Loser. Nur die Machthaber haben in Kanada die Hosen an. Und wenn jemand nicht kuscht, dann werden einfach deren Gelder eingefroren, deren Lizenzen entzogen, deren Zugang zum Finanzsystem gekappt und deren Haustiere getötet. Über Gesetze, Politik oder Recht muss man nicht mehr diskutieren, wenn man das Gewaltmonopol auf seiner Seite hat.“

Markus Buchheit

Kategorien: Gastbeitrag