Bietet die Akademie für politische Bildung kriegstreiberischen Positionen eine Bühne? Ein Kommentar von MdL Franz Bergmüller, bayerischer Landtagsabgeordneter aus Rosenheim:
Anfang Juni fand bei der Akademie für politische Bildung in Tutzing eine Konferenz mit dem Titel „Vom Mauerfall zum russischen Überfall“ statt. Die Tagung sollte die historischen Beziehungen Osteuropas zu EU und NATO sowie die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf die europäische Integration beleuchten. Die Dozenten setzten sich aus Politik- und Staatswissenschaftlern, darunter Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter von verschiedenen Hochschulen, Denkfabriken sowie politischen Instituten, zusammen. Bereits nach den ersten Vorträgen bildete sich unter den Referenten ein eher undifferenzierter Konsens zur Situation in der Ukraine heraus. Es wurde betont, dass nur ein vollständiger Sieg der Ukraine hinnehmbar sei. Dabei blieb jedoch offen, wie dieses Ziel angesichts der zunehmenden Übermacht der russischen Armee erreicht werden könne. Die Dozenten waren sich weiterhin einig, dass Russland nach der Ukraine weitere Länder überfallen werde. Prof. Dr. Behrends von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sagte wörtlich, dass Putin seine Truppen in Warschau, Prag und Budapest sehen wolle. Es ginge dem Kreml um eine Wiedererrichtung der Sowjetunion, ohne die NATO würde Russland auch in westliche Länder einfallen – so die Aussage des Politikwissenschaftlers.
Auch die georgische Aktivistin Dr. Khatia Kikalishvili vom Zentrum Liberale Moderne in Berlin attestierte Russland die Absicht, in den Westen einmarschieren zu wollen. Sie sagte wörtlich, dass Putin als „neuer Hitler“ in der Weltpolitik auftrete. Dabei blieb sie eine Erklärung schuldig, inwiefern die öffentliche Gleichsetzung des russischen Präsidenten mit dem Massenmörder Hitler zu einer Deeskalation der Situation beitragen könne. Fest steht jedenfalls, dass eine Rhetorik auf diesem Niveau der Reputation der Tutzinger Akademie nicht zuträglich ist.
Besonders beunruhigend war die vorherrschende Meinung der Tagungsteilnehmer zur Frage der Beteiligung westlicher Truppen an den Kampfhandlungen: In persönlichen Gesprächen waren alle Befragten der Meinung, dass die NATO der Ukraine notfalls direkten militärischen Beistand leisten müsse – selbst auf ukrainischem Territorium. Auch alle Dozenten zielten auf eine militärische Lösung ab. Friedensverhandlungen mit Russland wurden nicht in Erwägung gezogen, ja nicht einmal thematisiert. Auch die entscheidende Tatsache, dass sich die Verhandlungsposition der Ukraine besonders in den letzten Monaten trotz der Waffenlieferungen drastisch verschlechtert hat, wurde von keinem Dozenten erwähnt.
Fest steht: Nach über zwei Jahren militärischer Unterstützung und hunderttausenden Toten auf beiden Seiten hat sich die Lage eindeutig zugunsten Russlands verschoben. Wer angesichts dieser Situation stupide weitere Waffenlieferungen fordert und Verhandlungen ablehnt, hat nichts begriffen und nimmt leichtfertig weitere Opfer in Kauf. Es ist unbestritten, dass der russische Einmarsch ein klarer Bruch des Völkerrechts war und ist. Man muss jedoch trotzdem den Tatsachen ins Auge blicken: Russland wird sich freiwillig nicht mehr aus den besetzten Teilen der Ostukraine sowie der Krim zurückziehen. Die Ukraine wird militärisch nicht in der Lage sein, die besetzten Landesteile zurückzuerobern. Einzig und allein der massive Einsatz westlicher Truppen könnte dies eventuell bewirken, aber genau hier stellt sich die entscheidende Frage: Soll die NATO mit allen Konsequenzen in einen militärischen Konflikt mit Russland eintreten, um die Ostukraine wieder unter ukrainischen Einfluss zu bringen? Wer diese Frage ernsthaft mit „ja“ beantwortet, der kann unmöglich noch bei klarem Verstand sein. So nachvollziehbar das Ziel der territorialen Integrität der Ukraine auch sein mag – der Preis eines dritten Weltkriegs wäre dafür entschieden zu hoch. Viel realistischer (und angesichts der vielen Toten auch humaner) erscheint das Einfrieren des Konflikts bei aktueller Frontlage und die Aushandlung einer für beide Seiten gangbaren Lösung: Die Ukraine verzichtet auf den NATO-Beitritt und weitere militärische Zusammenarbeit mit dem Westen. Die besetzten Landesteile bleiben bis auf Weiteres unter russischer Kontrolle – nicht etwa, weil das zu befürworten wäre, sondern weil weitere Todesopfer schlichtweg vermieden werden müssen. Dafür müssen beide Seiten die Kampfhandlungen unverzüglich einstellen und schwere Waffen abziehen. Die Nato stationiert keine Truppen in der Ukraine, garantiert aber die territoriale Souveränität der Westukraine. Der Kreml garantiert im Gegenzug, dass keine weiteren Vorstöße in die Ukraine erfolgen. Sollte sich nach diesen Schritten herausstellen, dass Russland tatsächlich weiter angreift oder sogar andere Staaten ins Visier nimmt – dann muss man über militärische Lösungen sprechen. Solange dies jedoch nur eine bloße Behauptung westlicher Akteure ist, verbietet sich ein weiteres Befeuern des Konflikts durch Waffen, Sanktionen und verbale Eskalation.