Was zum Henkel – die Inhaltliche Zusammenfassung der 36 seitigen Entscheidung des BverfG in Sachen Beitragserhöhung der ÖR um 86 Cent und der Verweigerung durch Sachsen Anhalt. Ein Gastbeitrag von MdL und Rundfunkrat Uli Henkel.

om 10. bis 17. Juni 2020 fand in Berlin die Jahreskonferenz der Ministerpräsidentinnen
und Ministerpräsidenten der Länder statt. Diese unterzeichneten dort den Ersten
Medienänderungsstaatsvertrag. Auch der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt
unterschrieb diesen am 16. Juni 2020 und ergänzte seine Unterschrift um folgenden
Zusatz:
Erklärung Sachsen-Anhalts bei der Unterzeichnung:
„Sachsen-Anhalt hat sich am 12. März 2020 im Rahmen der MPK-Beschlussfassung
enthalten. Diese Unterschrift dient dazu, die den 16 Länderparlamenten obliegende Entscheidung zu ermöglichen“. ( Das war mir so auch nicht bekannt U.H.).

Die ARD argumentierte nun vor dem BverfG:
Innerhalb des gestuften Verfahrens zur Beitragsfestsetzung seien die Länder an die auf der fachlichen Prüfung beruhende Bedarfsfeststellung der KEF grundsätzlich
gebunden.
Mit der Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu entnehmenden Finanzierungsgarantie korrespondiere
ein subjektiv-rechtlicher Anspruch der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf eine
funktionsgerechte Finanzierung, also auf das zur Funktionserfüllung Erforderliche.

Da aber der Grundsatz der Trennung von allgemeiner Rundfunkgesetzgebung und Finanzierungsentscheidungen nicht aus sich selbst heraus effektiv sei und sich die Höhe
des jeweils erforderlichen Rundfunkbeitrags weder anhand der in Rede stehenden
grundrechtlichen Garantie noch durch die Rundfunkanstalten selbst abschließend ermitteln und festsetzen lasse, bedürfe es effektiver Verfahrenssicherungen.
Die entscheidende Rolle zur Einhegung der Ausweitungsinteressen der Anstalten
als auch von dysfunktionalen Einflussnahmen staatlicher Seite komme daher
der zwischen Bedarfsanmeldung der Anstalten und Beitragsentscheidung der Länder
wirkenden KEF zu. Die KEF sei unabhängig und sachverständig. An ihre fachlichen
Vorschläge seien die Länder grundsätzlich gebunden
Auf Basis der fachlichen Prüfung durch die KEF sei eine Erhöhung um 86 Cent pro
Monat zur funktionsgerechten Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
erforderlich. Infolge der am 8. Dezember 2020 verfügten Rücknahme des Gesetzentwurfs
sei es nicht zur notwendigen Beschlussfassung des Landtags von Sachsen-Anhalt gekommen. Es fehle sowohl an einer Entscheidung des Landtags, die zu treffen das Parlament zur Wahrung der funktionsgerechten Finanzierung der Beschwerdeführer verpflichtet sei, als auch an einer Begründung einer etwaigen Abweichungs-oder gar Ablehnungsentscheidung. Dadurch würden die prozeduralen Anforderungen, die aus dem Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung resultierten, verletzt.

Das ZDF argumentierte vor dem BverfG:
Seinen Funktionsauftrag könne der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur erfüllen,
wenn der Rundfunkbeitrag frei von medienpolitischen Zielsetzungen festgesetzt wer-
de. Es sei der Grundsatz der Trennung zwischen allgemeiner Rundfunkgesetzgebung
und Beitragsfestsetzung zu beachten. Für die Entgeltfestsetzung seien die Grundsätze der Programmneutralität und der Programmakzessorietät maßgeblich.
Durch das Unterlassen der Zustimmung zum Entwurf eines Gesetzes zum Ersten
Medienänderungsstaatsvertrag weiche das Land Sachsen-Anhalt aus verfassungsrechtlich unzulässigen programmlichen und medienpolitischen Gründen von dem Vorschlag der KEF ab. Der Grundsatz der Programmneutralität und Programmakzessorietät der Finanzierungsentscheidung werde verletzt.
Indem das Land Sachsen-Anhalt ohne Begründung die Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag unterlassen habe, habe es die Beschwerdeführer in ihrem Grundrechtaus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Insgesamt beruhe die Unterlassung der Zustimmungzum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag auf medien- und koalitionspolitischen Gründen und verstoße daher gegen das Grundrecht der Rundfunkfreiheit

Das Deutschlandradio argumentierte vor dem BVerfG:
Der Landtag von Sachsen-Anhalt sei verpflichtet gewesen, das Vorliegen eines Abweichungsgrundes darzulegen und sachgerecht zu begründen. Eine Begründung, die die Überprüfung der Abweichung erlauben würde, sei indes nicht vorgelegt worden. Die Rücknahme des Gesetzentwurfs und die darin liegende Unterlassung einer Zustimmung verletze den Anspruch der Beschwerdeführer auf angemessene Finanzierung

Die 15 ( anderen ) Bundesländer argumentieren gemeinsam vor dem BVerfG:
Es bestehe ein Anspruch auf eine dem Beitragsvorschlag der KEF entsprechende Finanzierung, es sei denn, es liege eine formal und inhaltlich tragfähige Abweichung vor. Nach diesen Grundsätzen seien die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht der Rundfunkfreiheit verletzt, denn die geltenden Finanzierungsregelungen wichen von dem Beitragsvorschlag der KEF ab. Wo das Gesetz eine Begründung für staatliches Handeln vorschreibe, führe bereits das Fehlen der Begründung zu einem rechtlichen Mangel. Das Gesetz, das eine Begründung gebiete, sei vorliegend Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Bundesregierung argumentiert vor dem BVerfG:
Die Bundesregierung betont die Notwendigkeit der funktionsgerechten und auskömmlichen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerade in Zeiten des
digitalen Wandels und der Medienkonvergenz. Mit Blick auf das Verfahren zur Festlegung
der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müsse gewährleistet
sein, dass dieses in seiner Struktur nicht den Unsicherheiten medienpolitischer Debatten
ausgesetzt sei.

Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde:

Das BverfG sagt die 3 Verfassungsbeschwerden sind zulässig, da die Rundfunkfreiheit verletzt worden sein kann.
Die Unterlassung der Zustimmung stellt einen tauglichen Verfahrens- bzw. Beschwerdegegenstand dar.

Ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde
sein. Voraussetzung ist hierfür, dass sich eine entsprechende Handlungspflicht aus dem Grundgesetz herleiten lässt. Eine solche Handlungspflicht ergibt sich hier aus der Rundfunkfreiheit im gegenwärtigen System auch für jedes einzelne Land.

Für die funktionsgerechte Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
als Ausprägung der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG besteht eine
staatliche Gewährleistungspflicht, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten korrespondiert.
Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den
Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Die föderale Verantwortungsgemeinschaft beruht auf der Besonderheit, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, aber in dem gegenwärtigen System der Organisation
und Finanzierung des Rundfunks nur eine länderübergreifende Regelung
den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verwirklichen kann.
Für das Inkrafttreten der Regelungen des (Rundfunkfinanzierungs) Staatsvertrags
über Beitragsanpassungen – auf der Grundlage der Bedarfsfeststellung der KEF –
bedarf es derzeit mangels anderer Vereinbarung immer wieder erneut der Zustimmung aller Länder.
Bereits durch das Unterlassen der Zustimmung des Landes Sachsen-Anhalt
zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag erscheint hier die Nichterfüllung des
grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs der Beschwerdeführer möglich.

Zur Urteilsbegründung des BverfG:

Die Verfassungsbeschwerden gegen das Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt,
dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, sind begründet.
Dieses Unterlassen verletzt die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks. Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung .
Der in Art. 5 Abs. 1Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Die Ausgestaltung dieser Ordnung ist Aufgabe des Gesetzgebers, der dabei einen weiten Gestaltungsspielraum hat, auch für Differenzierungen insbesondere nach der Regelungsart und Regelungsdichte.

Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im Wesentlichen entspricht, dass der Rundfunk nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und dass die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogrammangebot zu Wort kommen können.

Fakt ist, dass es immer schwieriger wird, zwischen Fakten und Meinung, Inhalt
und Werbung zu unterscheiden, was auch zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich der
Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen führen kann.

Und dann kommt wieder die uralte Standartformulierung des BverfG :

Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten
öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. ( Mir kommen gleich die Tränen – U.H. )
Die Mittelausstattung muss nach Art und Umfang den jeweiligen Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerecht werden. Mit der darauf bezogenen staatlichen
Finanzgewährleistungspflicht korrespondiert ein entsprechender grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Es bleibt aber Sache des Gesetzgebers, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zur Vielfaltsicherung auszugestalten und die entsprechenden
medienpolitischen und programmleitenden Entscheidungen zu treffen; ihm kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Für die Beitragsfestsetzung sind somit die Grundsätze der Programmneutralität und der Programmakzessorietät maßgeblich.
Und nun zur Weigerung von Sachsen Anhalt überhaupt abstimmen zu lassen:

Den Landesgesetzgebern ( also allen 16 Ländern – Anmerkung UH ) steht es etwa
verfassungsrechtlich frei, die Beitragsentscheidung durch Rechtsverordnung treffen
zu lassen, oder auch eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen. Machen sie hiervon keinen Gebrauch, weil sie die politische Verantwortung für die Festsetzung der konkreten
Beitragshöhe weiterhin selbst ,sowie als Ländergesamtheit tragen wollen, so müssen
sie sich den grundrechtlich fundierten Begründungsanforderungen auch unter den dadurch erschwerten Bedingungen stellen.

Jedes Land muss als staatlicher Mitverantwortungsträger diese Gewährleistungspflicht miterfüllen und an der Umsetzung der funktionsgerechten Finanzierung mitwirken. Erfüllt ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und wird dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liegt bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit, denn ohne die Zustimmung aller Länder kann die länderübergreifende Finanzierung des Rundfunks derzeit nicht gewährleistet werden.
Es ist Sache jedes einzelnen Landes, ein Einvernehmen der Länder hinsichtlich der von ihm für erforderlich gehaltenen Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen.

Allerdings könnte der Rundfunkgesetzgeber den Finanzbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mittelbar und in grundsätzlich zulässiger Weise durch seine Entscheidungen zu Art und Anzahl der Rundfunkanstalten sowie der anzubietenden Programme beeinflussen, eine Strukturreform der Rundfunkanstalten oder eine Reduzierung der anzubietenden Programme war mit der Verabschiedung dieses Medienstaatsvertrags jedoch im konkreten Fall gar nicht verbunden.

Dadurch, dass das Land Sachsen-Anhalt dem Medienänderungsstaatsvertrag
ohne verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung nicht zugestimmt hat, ist es unter
Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG seiner Mitverantwortung bei der den Ländern
obliegenden Gewährleistung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
nicht nachgekommen.

Schluss:

Das bisherige Regelungskonzept des Beitragsgesetzgebers aufgreifend gilt daher
übergangsweise Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags ( und damit die Erhöhung um 86 Cent U.H. ) mit Wirkung ab dem 20. Juli 2021
Von einer Anordnung der rückwirkenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1.
Januar 2021 wird abgesehen. Die Beurteilung der Auswirkungen der unterbliebenen
Beitragsanpassung auf die Rundfunkanstalten kann in dem staatsvertraglich vereinbarten
Verfahren erfolgen.
Sie erfordert im gegenwärtigen System allerdings eine Stellungnahme der KEF sowie einen neuen Änderungsstaatsvertrag mit Zustimmung aller Länder gemäß § 7 Abs. 2 RFinStV, der die Funktionsfähigkeit der Rundfunkanstalten gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in vollem Umfang gewährleisten muss.
Dabei sind auch Kompensationserfordernisse wegen unterbliebener Beitragsanpassung zu berücksichtigen

München
Uli Henkel MdL und RR

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